Gerlingen zur Römerzeit (ca. 80 bis ca. 260 n. Chr.)
Der folgende Beitrag wurde dem Heimatblatt 8/1993 "Archäologie in Gerlingen" entnommen. Der Verfasser ist Eberhard Stützel.
Der Leiter des Gerlinger Stadtarchivs Klaus Herrmann hat in einer Broschüre zusammengefasst, was über die Römerzeit in Gerlingen bekannt ist. Diese Broschüre ist an der Rathauspforte kostenlos erhältlich. Auch der Artikel von Eberhard Stützel ist in dieser Broschüre enthalten.
Eingliederung in das Römische Weltreich
Im späten ersten Jahrhundert nach Christus wurde auch unsere engere Heimat in das Römische Weltreich eingegliedert. Zum Schutz der Ostgrenze des Römischen Reiches wurde unter Kaiser Domitian (81 bis 96 nach Christus) auf dem Westufer des Neckars eine Reihe von Kastellen (Neckarlimes) errichtet und durch Straßen miteinander verbunden.
Um die Mitte des 2. Jahrhunderts verschoben die Römer die Grenze etwa 30 Kilometer nach Osten und befestigten sie (Obergermanischer und Rätischer Limes).
Allmählich entstanden um die Kastelle und entlang der römischen Heerstraßen nach militärischen Gesichtspunkten ausgerichtete Siedlungsformen. Kastelldörfer waren vorwiegend Sitz der Handwerker. Gutshöfe mussten die Truppen und die Bewohner der Dörfer mit Lebensmitteln versorgen und waren auf gute Straßen zu den Truppenstandorten angewiesen. Der wachsende Bedarf erforderte eine erhebliche Ertragssteigerung und eine Erweiterung der bewirtschafteten Fläche.
Für die Truppenversorgung spielte der Dinkelanbau die Hauptrolle neben Weizen, Roggen und Gerste. Daneben gab es auch Sonderkulturen, wenn Boden und Klima diese erlaubten: Weintrauben, Süßkirschen, Pflaumen, Zwetschgen, Walnuss und Mehlbeer, neben Apfel- und Birnbäumen, die schon in vorrömischer Zeit nachweisbar sind.
Die Viehzucht war ein wichtiger Produktionszweig; zahlreiche Funde weisen auf eine ausgedehnte Haustierhaltung hin. Der Handel wurde mit Geld abgewickelt; zahlreiche Münzfunde bezeugen dies.
Die großen Gehöfte waren wirtschaftlich unabhängig. Sie verarbeiteten ihre Produkte selbst, stellten in kleinen Töpfereien Geschirr her und fertigten Geräte durch eigene Schmiede; selbst die Herstellung von Textilerzeugnissen und Lederwaren ist nachgewiesen.
Ein römischer Gutshof im Lontel
Die Höfe lagen als Einzelhöfe meist an trockenen Südhängen, in der Nähe von Quellen, die Viehweiden im Tal, direkt beim Hof. All dies trifft auf den römischen Gutshof zu, den man im Jahr 1988 im Lontel entdeckt hat.
Während der Baggerarbeiten zur Erschließung des Baugebiets Lontel II hatte der ehrenamtlich Beauftragte des Landesdenkmalamtes Werner Schmidt dort zunächst keine archäologischen Spuren festgestellt. Seine Unruhe trieb ihn aber am Silvesternachmittag 1987 erneut auf die Baustelle. Diesmal fielen ihm kaum sichtbare Verfärbungen im Boden auf, und er entschloss sich, am Neujahrstag 1988 nachzugraben. Dabei fand er eine abgerundete Vertiefung, etwa 1,20 x 1,80 m groß, aus der er Keramikscherben, zwei tönerne Spinnwirtel und eine Knochennadel bergen konnte. Damit begann eine Grabungskampagne, die sich bis Mitte Juni 1988 hinzog und bei der insgesamt 25 Fundstellen aufgedeckt wurden.
Mit welchen Schwierigkeiten Werner Schmidt dabei zu kämpfen hatte, zeigt sein Bericht an das Landesdenkmalamt:
„Die Untersuchung der Fundstellen, die ausschließlich mit freiwilligen Kräften durchgeführt wurde, stand infolge der laufenden Baumaßnahmen unter starkem Zeitdruck. Sofern die nähere Beobachtung nicht durch z. T. absichtlich beschleunigten Erdaushub vereitelt wurde, konnte in den meisten Fällen wenigstens ein Profil abgenommen werden. Eine Fundstelle war infolge der Straßenbauarbeiten nur kurze Zeit sichtbar und bereits wieder zugeschüttet, ehe sie untersucht werden konnte. Auf einem anderen Grundstück wurde bei Ausbaggerungsarbeiten ein vermutlich römischer Befund angeschnitten. Trotz Weisung durch das Landesdenkmalamt, diese Stelle nicht zu verändern, wurde der Befund durch die Bauunternehmung ausgeräumt, bevor er näher untersucht werden konnte."
Ein römischer Keller
Fünf der 25 Fundstellen sind mit hoher Wahrscheinlichkeit Überreste eines Gutshofes aus römischer Zeit: die Ecke eines Kellers, Reste eines Töpferofens und ein Brunnenschacht, Scherben römischer Gebrauchskeramik, das kurze Stück einer Mauer, Spuren einer Schotterung und ein kleiner runder Schacht.
Am aufregendsten war für Werner Schmidt die Aufdeckung der Kellerecke. In ihr befanden sich zahlreiche Keramikscherben, darunter zwei fast vollständig erhaltene Gefäße, ferner Kleineisenteile, Bronzestückchen mit einem Fingerring, verkohlte Getreidereste und anderes mehr. Die beiden Mauern dieser Kellerecke hörten an der Kreuzung Lontelstraße/ Mittlere Ringstraße auf. Der fehlende größere Teil ist wahrscheinlich schon vor 20 Jahren zerstört worden. Damals musste dort Erde für den Straßenbau ausgehoben werden. Warum dabei die sicher auffälligen Fundamentreste nicht beachtet wurden, ist heute nicht mehr nachvollziehbar.
Ein Töpferofen
In unmittelbarer Nähe des Kellers wurde im April 1989 ein römischer Töpferofen freigelegt, der nach den Untersuchungen des Landesdenkmalamtes zu den mittelgroßen Anlagen dieser Art in Baden-Württemberg zu zählen ist. Der in den Lößlehm eingelassene, über drei Meter lange Ofen war mit Scherben römischer Gebrauchskeramik (Töpfe, Schüsseln, Reibschalen) aufgefüllt. Die Keramik erlaubt eine Datierung des Ofens sowie des Kellers in die zweite Hälfte des zweiten Jahrhunderts.
Eine römische Fußbodenheizung
Im März 1990 fand Werner Schmidt noch Pfostenlöcher eines größeren Holzhauses mit Resten einer gemauerten Fußbodenheizung (Hypokaustanlage). Der Fußboden wurde von einst 40 cm bis 120 cm hohen Pfeilern gestützt. Werner Schmidt und seine Helfer konnten die Stellen, auf denen die ungewöhnlich dicht beieinander stehenden Stützpfeiler standen, noch deutlich erkennen. Von einem Feuerungsraum wurde heiße Luft in den zwischen den Pfeilern entstehenden Hohlraum geleitet und dadurch der Fußboden erwärmt.
Das Ende des Gutshofs
Wie der Gutshof aussah, darüber kann man auf Grund der spärlichen Funde heute nur noch spekulieren. Sein Schwerpunkt dürfte wohl oberhalb des heutigen Römerwegs an der Hangkante gelegen haben; das aufgedeckte Stück Mauer könnte der südöstliche Abschluss zum Tal hin gewesen sein. Der Name Römerweg soll an diese Funde erinnern.
Auch über das Ende der Nutzung des Gutshofs gibt es keine Anhaltspunkte. Die Steine des verfallenden Hofes dürften, vor allem im späten Mittelalter, von den Gerlingern verwendet worden sein. Erosion und landwirtschaftliche Bearbeitung des Geländes haben die Reste verteilt. Außerdem ist in diesem Gebiet über Jahrhunderte hinweg Lehm (daher der Flurname Leimengruben) bis zu Stockwerkstiefe entnommen worden. Was von dem Gutshof noch übrig blieb, wurde dann spätestens bei den Erschließungs- und Bauarbeiten zwischen Lontelstraße und Vesouler Straße in den siebziger Jahren unseres Jahrhunderts beseitigt.
Römische Töpferei im Mahdental
Auf einen weiteren Fund aus römischer Zeit war man schon im Jahre 1927 gestoßen. Im Mahdental, noch auf Gerlinger Markung, wurden beim Bau der Mahdentalstraße römische Gebäudereste angeschnitten. Die Fundstelle liegt nahe der Einmündung des Krummbachs in die Glems. In sehr großer Zahl fanden sich dort Scherben von Schüsseln, Tellern, Krügen, Reibschalen und Amphoren, außerdem ein wenig Terra Sigillata (römische Feinkeramik), drei Stubensandsteinblöcke (Säulentrommeln oder Mühlsteine) und ein langer, schmaler Steinblock.
Da auch Scherben von Fehlbränden gefunden wurden, liegt vermutlich eine Töpferei vor. Dicht dabei liegen Gruben, aus denen der Ton für die Herstellung der Keramiken entnommen wurde.
Ein weiterer römischer Gutshof
In den Steckenäckern, etwa 250 Meter nördlich der Unterführung Leonberger Straße/ Autobahn, wurden schon 1840 auf dem Acker von Lorenz Maisch römische Mauerreste samt einer Säule mit Kapitell, Ziegel und Heizrohren gefunden. Die Säule mit Kapitell deutet auf einen reicher ausgestalteten Gutshof hin. Ob es darüber hinaus auf Gerlinger Markung noch weitere römische Gutshöfe gegeben hat, wissen wir noch nicht.
Eine Römerstraße auf der Gerlinger Schillerhöhe
Seit 1772 ist eine Römerstraße Pforzheim - Cannstatt bekannt. Sie wurde unter Kaiser Trajan in den Jahren zwischen 98 und 117 erbaut und führte von Straßburg über Ettlingen, Pforzheim, Leonberg, die Gerlinger Schillerhöhe und Feuerbach zum damaligen römischen Kastell Cannstatt. Die Straße überquerte, von Rutesheim kommend, die Glems unterhalb des Bahnhofs Leonberg, führte weiter über die jetzige Leonberger Römerstraße, stieg von dort steil nach oben und führte dann an unserer Markungsgrenze bei der Gerlinger Heide entlang bis zur jetzigen Kreuzung Stuttgarter-/ Füller-/ Ramtelstraße.
Dort ist in einem Forchenwäldchen der römische Straßenkörper heute noch zu sehen. Die Straße verlief dann auf der heutigen Studentenallee bis zum Beginn der Waldsiedlung. Auf diesem Abschnitt war noch 1930 der alte Straßenkörper auf 70 Meter Länge deutlich sichtbar. Die Straße führte weiter entlang der heutigen Stuttgarter Straße, die nach 1833 südlich der römischen Straße erbaut wurde. Bei diesem Bau sind deren noch vorhandene Reste beseitigt worden. Die Straßenreste zwischen der heutigen Fachklinik Schillerhöhe und dem Solitudewald waren bereits beim Bau der bis zur Schillerhöhe reichenden ausgedehnten Gartenanlagen der Solitude (ab 1763) gründlich entfernt worden.
Charakteristisch für die römischen Straßen waren deren gerade Führung und ihr hoher Damm. Sie waren an der Krone 4 bis 5 m breit und hatten eine Steinpackung. Auf diese kamen Schotter und Feinmaterial, eine Bauweise, die als wassergebundene Decke noch bis ins 20. Jahrhundert im Landstraßenbau üblich war.