Fronen
Spricht man heute über den Bau der Solitude, wird in erster Linie erzählt, dass das Bauwesen durch Fronarbeit erstellt wurde. So fest hat sich diese Tatsache in das heutige Bewusstsein aus den Berichten unserer Vorfahren und aus dem Geschichtsunterricht eingeprägt.
Zu den üblichen Fronen ist folgendes zu sagen: Sie mussten im Allgemeinen der Grundherrschaft geleistet werden. In Gerlingen waren die Grafen und Herzöge die Grundherren. So mussten die Gerlinger dem Herzog zum Beispiel auf dem „Birsenauer Hof" (Büsnauer Hof), dem Bruderhaus und dem Seehaus fronen. Zu dieser Fron kam noch die „Fleckenfron", ein Gemeindedienst, der reihum geleistet wurde.
Da mussten Wege und „Staigen" eingehackt werden, im Walde die Viehtränken gerichtet, die Wege von Schnee freigeschaufelt werden und vieles andere mehr. Diese Fronen kamen der Allgemeinheit zugute und wurden kostenlos geleistet. Am Ende des Jahres erhielt jeder Froner 1 Maß Wein (1,8 1) und 2 „Leiblein Brot". Zu dieser Fleckenfron kam noch die „Hagens- und Jagensfron", zu denen die Gerlinger dem Herzog verpflichtet waren. Zur letzteren gehörten Treiberdienste und das Wildbretabführen. Das waren die legitimen, die „observanzmäßigen" Fronen, oder wie sie auch hießen, die „nach altem Herkommen."
Die Fronen, die Carl Eugen verlangte, waren illegitim, ja unrechtmäßig. Dennoch mussten sie geleistet werden. Dafür sorgte der Druck von oben: vom Herzog über die Werkmeister auf die Oberamtleute, die ihn wiederum auf die Schultheißen der einzelnen Orte weitergaben. Die Schultheißen waren dann diejenigen, die die einzelnen Froner aufbieten mussten.
Dieser Druck war derart groß und überdies anfangs bei Nichterfüllung mit schweren Strafen belegt, dass nur wenige sich dagegen offen auflehnten. So liest man zum Beispiel in einem Gerichtsprotokoll von Gerlingen, daß 1766 "3 Truchenkästen" (auf vier Seiten geschlossene Bretterwagen) „auf die Solitude zu stellen befohlen worden ..." Vom Schultheiß wurden nun alt Johannes Maisch Bek und Ignatius Maisch zur Fron bestimmt, die aber am andern Tag nicht erschienen, „da ihnen erst in der Nacht gebotten worden, und haben noch kein Geschirr gericht gehabt." Sie wurden um 3 f 15 x bestraft.
Zu unterscheiden wären noch Hand-, Fuhr- oder Roßfronen. Die letzteren mussten mit Wagen und Pferd oder Ochsen ausgeführt werden. So kommt beispielsweise am 18. Juni 1770 das Frongebot in Leonberg an, dass am darauffolgenden Tag 15 Truchenkästen mit 35 Mann zur Solitude gestellt werden müssten. Dieses Frongebot wurde nun auf die einzelnen Orte verteilt. So musste "Leonberg 6 Truchenkästen, 12 Mann, 10 mit Hauen, 2 mit Butten; Gerlingen 6 Truchenkästen, 12 Mann, 10 mit Schaufeln, 2 mit Butten und Höfingen 3 Truchenkästen, 11 Mann alle mit Butten" stellen, die „morgens präcis um 5 Uhr" auf der Solitude zu erscheinen hatten.
Zur „Fuhrfrohn" waren nicht nur die Besitzer von Zugtieren verpflichtet. Die Verpflichtung ergab sich vielmehr aus der Höhe des Steuersatzes. Hatte ein Handwerker ein Vermögen von 900 f und verdiente noch weitere 100 f dazu, musste er 1 f 10 x Steuer bezahlen und war daher Fuhrfröner. Mit 800 f Vermögen wäre er noch Handfröner gewesen.
Eine Bittschrift des Burgermeisters (Gemeinderechners) Rüger vom 11. April 1769 zeigt dies: "Auf Euer Herzogl. Durchl. höchst gnädiges Befehlen muß der Orth Gerlingen Täglich(!) eine Gewisse Anzahl von Truchenkästen auf die Herzogl. Solitude stellen, woran es mir der Steuer nach auch jezoweilen betrifft. Ich habe auch solches Unterthänigst beobachtet und in Ermangelung eines eigenen Fuhrwerks fremde Männer gemietet, Vor jezo aber, da die Bauren mehrers vür sich zu arbeiten haben, kann ich keinen mehr bekommen, der die Solitude-Arbeit in meinem Nahmen prästirt, und weilen ich besonders auch als ein von Jugend auf in Militärdiensten gestandener Mensch niemahlen einen Begriff Von den Baurengeschäfften bekommen: So bin ich auch außerstande, ein aigenes Fuhrwerk zu errichten, und meine Güthlein selbsten zu bauen, sondern vielmehr genöthiget, Selbe mit großen Kosten bauen zu laßen. Bei vorstehend wahrhaften Gründen erkühne ich mich, Euer Durchlaucht Allerunterthänigst zu bitten, gnädigst zu befehlen, dass ich von Stellung eines Truchenwagens auf die Herzogl. Solitude in allen Gnaden befreiet werde. Euer Herzogl. Durchlauchtigster Bitt Erhör und Gewähr mir in Untertänigkeit, und im profundesten Respekt ersterbe Eurer Herzogl. Durchlaucht Unterthänigst Treu gehorsam; Georg Friedrich Rüger, Burgermeister zu Gerlingen Leonberger Oberamts."
Zusammen mit den Fuhrfrönern wurden gleich die Handfröner mit ihren Gerätschaften - Schaufeln, Hauen und Butten - bestellt. Die Hauen brauchte man, um die Erde loszuhacken, die Schaufeln, um diese Erde in die Butten zu schippen, die dann auf dem Rücken zu den Wagen getragen und dort entleert wurden. Die Wagen fuhren dann die Erde zu anderen Plätzen - Fließbandarbeit in alter Zeit.
Die Arbeit auf der Solitude war nicht ungefährlich, ja einige Gerlinger mussten sie mit der Gesundheit und sogar mit dem Leben bezahlen. So zum Beispiel Johann Michael Heim, der vermutlich am Bau der „Ludwigsburger Chaussee" arbeitete und beim Bergheimer Hof "von einem Stein übel beschädigt und derart mit Erde bedeckt wurde, dass ihn seine Arbeiter herausgraben mussten... Er seie nun ein bettelarmer Mann, da er nicht mehr im Taglohn arbeiten könnte. Johannes Schöpf verunglückte am 16. September 1767 durch einstürzende Erde tödlich und Johannes Keyl hatte das bedauerliche Unglück, dass derselbe auf der Herzogl. Solitude, alwo er arbeitete von einer Eiche, welche umgeschlagen wurde und balde zu Boden fiel, als er vermuthete, zu Tode geschlagen wurde."
Zu diesen Arbeitsfronen kamen für die Gerlinger Bauern noch die Herrschaftsfuhrfronen. Das Gerlinger Stadtarchiv ist in der glücklichen Lage, die „Beilagen", Konzepte der Burgermeistersrechnungen, wenigstens von den Jahren 1769 bis 1773 zu besitzen. Diese zählen alle Herrschaftsfuhrfronen, die die Gerlinger leisten mussten, auf. So mussten, nur um einige Beispiele herauszugreifen, im Jahr 1769/70 am "29. April herrschaftl. Better nach Echterdingen (gemeint ist Birkach) geführt werden. Dazu brauchte man 4 Pferde und 2 Mann. Am 20. May zu Bespannung einer Herrschafftl. Gutschen von Herzogl. Solitude nach Ludwigsburg und von dort wieder zurück wegen Aufwartens. 1 1/2 Tag, 4 Pferde und 2 Mann. Am 24. May Vier Edelknaben, Morgens 3 Uhr Von der Solitude nach Ludwigsburg und wieder zurück. 4 Pferde, 4 Mann. Am 1. Juni Zwei Hofcaplane in einer herrschafftl. Chaise nach Ludwigsburg abgeführt, und diese Chaise wieder auf die Solitude zurückgebracht, l ganzer Tag, 3 Pferde, l 1/2 Mann. Am
4. Juni zu einer Prästation 3 Pferde, l 1/2 Mann. Am 8. Juni Herrn Hofmedicum Mörcken Von der Solitude in einer Chaise nach Ludwigsburg und wieder zurück geführt, samt dem Auffwartten. 1/2 Tag, 3 Pferde, l 1/2 Mann. Am 16. Juni Einen Geheimden Secreta-rium von der Solitude nach Ludwigsburg. 3 Pferde, l 1/2 Mann. Am 25. Juni Sr. Durchlaucht Prinz Friedrichs Secretarium in einer Chaise nach Stuttgart überführt und den Transport wieder zurücknehmen. 3 Pferde, l 1/2 Mann."
Bei den Herrschaftsfronen fällt das „Auffwarten" auf. Dies war eine zusätzliche, eine Sonderfron, die nur die Orte Gerlingen, Weilimdorf, Münchingen und Zuffenhausen leisten mussten. Sie bestand aus Botendiensten zur Einladung der Jagdgäste, Begleitung derselben und aus Küchendiensten zu deren Verpflegung. So lautete zum Beispiel ein solches Frongebot folgendermaßen:
"Auf morgen Montag früh 6 Uhr, sind 4 Mann auf die Solitude an den Hofjäger Haupt ohne alles Fehlen zu stellen, welche sich auf den ganzen Tag mit Brot und ein jeder mit einem Gräben (Rückentragkorb) und einem schäffeligen Sack (einen Scheffel beinhaltend) zu versehen hat, und also alle Tage, bis es im Flecken herum ist, auszuführen." Die Schultheißen der obengenannten Orte lehnten sich gegen diese Fron auf und baten darum, von dieser „nicht Lagerbüchern gültigen Verbindlichkeit befreiet" zu werden. Tatsächlich wurde dieser Dienst eingestellt, aber in anderer Form doch weitergeführt, indem er in die Jagdfron integriert wurde.
Von einem Aufwartdienst findet man im Gerlinger Gemeinderatsprotokoll vom 22. September 1767 folgende Geschichte: Dem Schultheißen wurde Meldung von der Solitude gemacht, dass wahrscheinlich durch die zwei Aufwärter Michael Höschele und Lorenz Höschele 11 Stück Ochsengaumen (vielleicht handelt es sich dabei um die Teile des Ochsenmauls, die zu „Ochsenmaulsalat" verarbeitet werden) aus einer Küche der Solitude verschwunden seien. Der Schultheiß erhielt nun den Auftrag, diese Ochsengaumen sicherzustellen und wieder auf die Solitude zurückzubringen.
Er begab sich deshalb mit dem Burgermeister Rüger und dem Waldschütz Schweizer "...in der Aufwärdter Häußer gleichbalden, visitirte und fand bei dem Michael Höschele 7 Stück und bei Lorenz Höschele 4 Stück theils schon bey dem Feuer, theils noch im Kopfhaus (einem Küchenschränkchen), von wo aus die Ochsengaumen wiederum auf die Solitude zurück geschickt wurden. Die beeden Aufwärdter wurden nun verhört und wollen sich einzig darüber verantworten, daß die Spielerinnen (Spülerinnen) Catharina Lachenmay-rin und Elisabeth Gänßlen von Gerlingen sie auff ein Britt in der Küche verschoben, und im Sinn gehabt haben, selbige unter sich zu vertheilen, und da sie ihme dem Höschele kein Theil davon zu geben Versprochen: So seyen sie Schlüßig worden, diese Ochsengaumen unter einander zu Vertheilen, welches zu thun sie um so weniger Bedenken getragen, als sie es vor Kuttelfleck gehalten, und es sonsten die Spielerinnen mitgenommen hätten... Da sowohl der Michael Höschele als auch der Lorenz Höschele Sohn äußerst arme Leute sind: So sollen sie 12 Stunden ins Zuchthauß, und künfftig die gleichen Vergehen von Ihnen Unterlaßen werden."
Von den Herrschaftsfuhrfronen 1771 seien noch einige Beispiele aufgeführt:
4. 9.1771 Küsten von der Silberkammer von der Solitude nach Ludwigsburg. 1 Tag, 1 Karren, 2 Pferde, 1 Mann.
7. 9.1771 Tafelwarh von der Solitude nach Ludwigsburg und nach langem Aufenthalt die Tafelwarh von da zurück auf die Solitude. 1/2 Tag.
9. 9.1771 Seßel nach Ludwigsburg transportieren, l vierspänniger Wagen.
10. 9.1771 Bagage von der Solitude zu dem Hünerjagen bei Ludwigsburg, und nach langem Aufwartten von da zurück auf die Solitude. l Wagen, 4 Pferde, 2 Mann.
12. 9.1771 Von der Solitude nach Ludwigsburg. 1/2 Tag, l Karren, 2 Pferde, l Mann. Am selben Tag Bagage von der Solitude nach Ludwigsburg. 2 Pferde, l Mann, l Karren.
23. 9.1771 Canditorei Sachen von der Solitude nach Ludwigsburg.
24. 9.1771 nach Hohenheim. 30. 9.1771 Seßel nach Ludwigsburg.
8.10.1771 Einen Wagen mit Tapeten nach Ludwigsburg.
15.10.1771 Bettzeug nach Ludwigsburg.
28.10.1771 Gewähr nach Ludwigsburg.
3. 3.1772 Das Herzogl. Bett von der Solitude nach Echterdingen. 28. 3.1772 die Bagage von der Frau von Leutrum von der Solitude nach Hohenheim.
Weiter mussten Vorspannfronen geleistet werden, so am
28. May 1771 die Bagage derer durch das Land marschierenden k. u. k. Truppen von Weilderstadt nach Neuhausen bringen.
Auch oberforstamtliche Fronen kamen noch dazu:
20. Juli 1771 Zwey Wildhäute von der Solitude nacher Stuttgart.
20. 9.1771 Einen Hirschkasten (Ein Transportkasten für lebende Hirsche) von der Solitude nach Illingen.
24. 9.1771 Hirschkästen von der Solitude nacher Echterdingen.
31.10.1771 Hirschhäute von der Solitude nacher Stuttgart.
Liest man diese Auszüge, so wundert es nicht, wenn die Gerlinger damals klagten, dass sie nicht wüssten, wann sie ihre Äcker bestellen sollten. Bereits 1770 war ein Raunen durch die Reihen der Fröner gegangen. Der eine hatte hier, der andere dort etwas gehört, als ob es mit dem Fronen bei dem herzoglichen Bauwesen vorbei sein sollte. Der Schultheiß von Heimerdingen, der zwei Maurer seines Ortes schon etliche Male zur Fron geboten hatte, die diesem Gebot aber nicht nachgekommen waren - einem davon war allerdings ein Kind krank geworden und „würklich gestorben" - schreibt:
"Allein dies ist die Hauptursach nicht: Diese Leuthe sind nach Stuttgardt geloffen, und haben in der Buchdruckerey einen Befehl abgeholt, worinnen ausdrückentlich steht, daß lauter freywillige Leuthe und um die baare Bezahlung, allda zu erscheinen hätten, und daß niemand auch nicht mit Strafe belegen dürfte ...Gleiche Bewandtnis hat es auch mit der Bauernschaft und Tag-löhnem, sie berufen sich auf diesen Befehl, ob er nun schon noch nicht publicirt worden. ...Überhaupt wäre es ein anderes wann die Bezalung für (vor) sich gienge, da aber manche 6, 8, 10, 12 bis 15 f droben stehen haben, könne dies unmöglich seyn, ohne ihr Vieh und ihre gantze Oeconomie ins Verderben zu stürzen. Und ist auch deßwegen gestern weder Bauer noch Taglöhner hinaufgegangen. ...Die beede Maurer aber sind heute mit Zwang und Drang dahin abgereißt."
Was war geschehen? Der „Erbvergleich" war bekannt geworden, der diese ungesetzlichen Fronen verbot. Die Folge davon war, dass der Gerlinger Schultheiß 1771 "bei einer gantzen versammelten Burgerschafft den Vortrag machte, daß wer freywillig auf der Herzogl. Solitude arbeiten wolle, derselbe sich angeben solle. Es derfften Buben und Männer seyn von 10(!) Jahren und darüber, er solle den richtigen Lohn empfangen. Bey dieser Verkündigung aber hat sich niemand gemeld als Carl Schweizer."
Mit Zwang und Drang ging es trotzdem weiter: Es wurde eine Fron- und Fuhrtax aufgestellt.